Zugkreuzung

Zugkreuzung

Zugkreuzung (train crossing; croisement de trains; incrocio di treni), das Ausweichen von Zügen entgegengesetzter Richtung beim eingleisigen Betrieb (s.d.) zum Unterschiede vom Begegnen von Zügen (s.d.) beim zweigleisigen Betriebe (s.d.) oder auf den Doppelgleisen (s.d.) einer zweigleisigen Bahn. Diese Unterscheidung zwischen Z. und Zugbegegnung entspricht den Betriebsvorschriften der deutschen Eisenbahnen, während die Vorschriften für den Verkehrsdienst auf den österreichischen Bahnen im Art. 72 (5) allgemein das Zusammentreffen zweier in entgegengesetzter Richtung verkehrender Züge sowohl in Stationen als auf doppelgleisigen Strecken auch zwischen den Stationen als Z. bezeichnen. Wenn ein Zug unmittelbar nach Einlauf des kreuzenden Zugs abfahren soll, so nennt man das eine spitze Z. Die Leistungsfähigkeit einer eingleisigen Bahn hängt wesentlich von der Zahl der Z. und der Überholungen (s.d.) ab und steigt mit deren Abnahme. Es müssen also, wenn hohe Zugleistungen erreicht werden sollen, möglichst viele Züge der einen Fahrrichtung sich folgen, bevor Züge der Gegenrichtung abgelassen werden. Für den eigenen Verkehr der Bahn kann dieser Forderung in der Regel kaum entsprochen werden. Eher gelingt es für den Durchgangsverkehr. Stehen für ihn mehrere Strecken zur Verfügung, so kann man den Verkehr trennen und für jede Richtung nur eine Strecke in Anspruch nehmen (vgl. Ztg. d. VDEV. 1918, S. 997). Auch die Betriebssicherheit (s.d.) steigt mit der Abnahme der Zahl der Z. Die aus den Z. entspringenden Gefahren zerfallen in solche beim Ein- oder Ausfahren der Züge auf den Bahnhöfen oder beim Zusammentreffen von Zügen auf der freien Strecke (s. Unfälle). Mit den zuerst bezeichneten Gefahren ist auch auf zweigleisigen Strecken zu rechnen, besonders wenn die Bahnsteige nicht schienenfrei zugänglich sind und das Überschreiten von Gleisen durch die Reisenden nötig ist. Man sucht in solchen Fällen beim zweigleisigen Betrieb die Begegnung der Züge auf die freie Strecke zu verlegen. Bei eingleisigem Betrieb, wo dies nicht möglich ist, muß in anderer Weise dafür gesorgt werden, daß die Züge weder sich selbst, noch die auf dem Bahnhof wartenden Reisenden gefährden können (FV. § 26). Sie dürfen deshalb 1. nicht gleichzeitig in den Bahnhof eingelassen werden, wenn die Fahrwege nicht derart getrennt verlaufen, daß die Züge auch dann nicht zusammentreffen, wenn einer oder beide nicht rechtzeitig zum Halten kommen sollten und 2. muß die Einfahrt und Aufstellung im Bahnhof so erfolgen, daß die Reisenden vor unzeitigem Überschreiten der Gleise gewarnt werden können. Im Aufsatz »Bahnsteig« sind die Mängel nicht schienenfrei zugänglicher Bahnsteige für den ein- und zweigleisigen Betrieb bereits hervorgehoben. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß solche Mängel die Leistungsfähigkeit einer zweigleisigen Bahn nicht unwesentlich beeinträchtigen können. Die Fahrplanbildung wird hier je nach der Dichtigkeit des Zugverkehrs mehr oder weniger beschränkt, wenn während der Abfertigung eines Personenzugs im 2. Gleise auf dem 1. Gleise kein Zug verkehren darf, weil sonst Reisende beim Überschreiten dieses Gleises gefährdet werden könnten. Es wird also auf die durch den Bau der Doppelgleise erreichte Unabhängigkeit des Zugverkehrs auf beiden Gleisen für gewisse Zeitabschnitte verzichtet, nur um die im Vergleich mit den Aufwendungen für das zweite Gleis unerhebliche Anlage von Bahnsteigtunneln oder Brücken zu umgehen.

Den aus den Z. entstehenden Gefahren sucht man in erster Linie durch sorgfältige Aufstellung des Fahrplans, sodann aber durch Dienstvorschriften, die auf die besonderen Umstände Rücksicht nehmen, entgegenzuwirken. Der im Fahrplan vorzusehende Zeitraum zwischen zwei Fahrten, die nicht gleichzeitig stattfinden können, richtet sich nach dem Zeitbedarf 1. für die nach Räumung des Fahrgleises durch die erste Fahrt notwendige Feststellung, daß die Räumung tatsächlich erfolgt ist, 2. für die Umstellung der Weichen und Signale und 3. für das Vorrücken der zweiten Fahrt bis zu der für den Fahrplan in Betracht kommenden Stelle. Im Art. 72 (6) der Vorschriften für den Verkehrsdienst auf den österreichischen Bahnen ist bestimmt, daß zwischen den Ankunftszeiten zweier Gegenzüge für Z. und zwischen zwei sich kreuzenden Zugfahrten im Fahrplan ein Abstand von mindestens 1 Minute vorzusehen ist. Abgesehen von der Festsetzung der Z. durch den Dienstfahrplan wird durch das Zugmeldeverfahren Sicherheit für die Einhaltung der Z. geboten. Nach letzterem darf ein Zug beim eingleisigen Betrieb nur abgelassen werden, nachdem er der Ankunftsstation von der Abfahrtstation telegraphisch angeboten und von ihr angenommen worden ist. Durch Blockeinrichtungen (s.d. unter II a) oder Handhabung des Zugstabsystems sucht man die durch das Zugmeldeverfahren erstrebte Sicherheit zu erhöhen. Auf diese Weise gelingt es, die aus den Z. entstehenden Gefahren im allgemeinen auf die Fälle zu beschränken, in denen Zugverspätungen die Verlegung von Z. nötig machen oder Z. durch die Einlegung von Sonderzügen oder Zugverschiebungen entstehen, die im Fahrplan nicht vorgesehen werden konnten. Wie in allen solchen Fällen zu verfahren ist, wird durch die Dienstvorschriften genau geregelt. Diese bestimmen, unter welchen Umständen seitens der Stationen von den vorgeschriebenen Z. abgewichen werden darf und welche Stellen für die erforderlichen Anordnungen zuständig und verantwortlich sind. Nach § 34 (1) der deutschen FV. ist eine Z. zu verlegen, wenn dadurch verhindert werden kann, daß eine Verspätung sich auf einen entgegenkommenden Zug überträgt, ohne daß der verspätete Zug hierdurch eine weitere erhebliche Verspätung erleidet. Bei der Erwägung, ob eine Z. verlegt werden soll, ist die Rangordnung der Züge (s.d.) zu beachten. Bei gleichwertigen Zügen sind die Anschlußverhältnisse (s. Wartezeiten) maßgebend. Nach den österreichischen Vorschriften für den Verkehrsdienst (Art. 148) gilt für die Verlegung der Z. der Grundsatz, daß bei Zugverspätungen der Verkehr der wichtigeren Züge durch den minder wichtigen Zug nicht gestört werden soll. Die Verpflichtung über die Verlegung einer Z. zu befinden liegt der Station ob, auf der die Z. nach dem Fahrplan oder der hierüber getroffenen Anordnung oder Vereinbarung stattfinden müßte. Sie geht in besonderen Fällen auf die Anfangs- oder Endstation sowie auf die Übergangsstation vom zweigleisigen zum eingleisigen Betrieb oder Abzweigestation über (vgl. Struck, Grundzüge des Betriebsdienstes auf den preußischen Staatsbahnen, Berlin 1907). Abweichend hiervon ist die Befugnis zur Verlegung von Z. auf den schwedischen Eisenbahnen ein für allemal hierfür bestimmten, besonders geeigneten Stationen übertragen. Diese haben den Lauf der Züge auf der ihnen zugeteilten Strecke auf Grund der eingehenden Meldungen zu verfolgen und nach ihrem Ermessen die Verlegung einer Z. anzuordnen. Die Erhebungen über die Zweckmäßigkeit der Verlegung einer Z. können durch Telegraph oder Fernsprecher (s. Betriebsdepeschen) angestellt werden. Die Verlegung selbst darf aber nur durch den Telegraphen unter Anwendung des durch das Zugmeldeverfahren wörtlich vorgeschriebenen Telegrammwechsels und nur dann, wenn der Telegraph ungestört und fehlerfrei arbeitet, angeordnet werden. Andernfalls hat sie zu unterbleiben. Durch den Telegrammwechsel bei Verlegung einer Z. wird das regelmäßige Zugmeldeverfahren nicht ersetzt. Die Verlegung einer Z. ist dem Lokomotivführer und dem Zugführer beider kreuzender Züge schriftlich durch den hierfür bestimmten »Kreuzungsbefehl« bekanntzugeben. Nötigenfalls sind die Züge zur Entgegennahme des Befehls auf einer Vorstation anzuhalten. Dies soll jedoch durch möglichst frühzeitige Vereinbarung der Verlegung von Z. und telegraphische Übermittlung des Befehls an die letzte Haltestation der Züge vermieden werden.

Für den gefahrlosen Verlauf der Z. ist die Feststellung sehr wichtig, daß der zuerst ankommende Zug mit Schlußzeichen versehen vollständig in den Bahnhof eingefahren und den Fahrweg des zweiten Zugs völlig geräumt hat, bevor diesem die Einfahrt erlaubt wird. Die Feststellung ist bei langen Zügen besonders bei Dunkelheit und Nebel oft zeitraubend und mühsam. Man wendet daher mancherlei Mittel an, um sie zu erleichtern und läßt, wo die Bahnhofsbediensteten nicht ausreichen, wohl die Schlußbremser der Güterzüge dabei mitwirken. Da besonders auf kleinen Stationen die wenigen Beamten zur Zeit der Z. stark in Anspruch genommen zu sein pflegen und deshalb zu befürchten ist, daß sie in der Sorge, Zugverspätungen zu vermeiden, die für die Sicherheit des eingleisigen Betriebs vorgeschriebenen Maßnahmen nicht immer mit ruhiger Überlegung treffen, so ist auf einigen deutschen Bahnstrecken ein »bedingtes Anbieteverfahren« zugelassen. Während sonst und zwar auch bei spitzen Z. von einer Kreuzungsstation ein Zug erst der Nachbarstation telegraphisch zur Annahme angeboten werden darf, wenn der kreuzende Zug in der Station eingetroffen ist, darf beim bedingten Anbieteverfahren dies schon einige Minuten vor dem Eintreffen des kreuzenden Zugs geschehen. Um beide Stationen daran zu erinnern, daß die Abfahrt des zweiten Zugs vom Eintreffen des ersten Zugs abhängt, wird in solchen Fällen der Anfrage die Form gegeben: »Wird Zug 23 angenommen, wenn 804 eingetroffen?« Im Falle der Bejahung hat die Antwort zu lauten: »Zug 23 ja, wenn 804 angekommen.«

Muß für vorübergehendes Befahren eines Gleises in beiden Richtungen schnell eine zuverlässige Sicherung der Gegenfahrten eingerichtet werden, so kann dies u.a. durch Mitgabe eines Lotsen geschehen, ohne dessen Begleitung keine Fahrt stattfinden darf.

An den Bahnabzweigungen und an den Bahnhofsein- und -ausfahrten läßt es sich nicht vermeiden, daß die Fahrwege der Züge verschiedener Richtungen sich kreuzen. Auch an solchen Stellen finden Z. im weiteren Sinne des Wortes statt. Man sucht zwar die Kreuzung wichtiger Fahrwege in Schienenhöhe zu vermeiden (s. Gleisentwicklungen), um den Gefahren solcher Z. zu begegnen und die Zugfahrten voneinander unabhängig zu machen. Die hierfür aufzuwendenden Mittel sind aber sehr erheblich. Sie würden ins Ungemessene steigen, wenn man grundsätzlich alle Z. an den Bahnhofsein- und -ausfahrten durch bauliche Anordnung der Gleise beseitigen wollte. Es sind daher im Einzelfalle die erreichten Vorteile den Kosten gegenüber abzuwägen, wie dies im Aufsatz: »Über schienenfreie Gleisentwicklungen« von Baseler in der Ztg. d. VDEV. 1918, S. 897, versucht wird.

Breusing.


http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.

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